Putin, die Frauen und wir
Was er heute als unwichtig abtut, hat Putins Ängste und Maßstäbe geprägt: Die Familie.
Prekäre und/oder gewalttätige Familienverhältnisse stehen am Beginn der meisten Verbrecherkarrieren. Ihre Menschenverachtung, mit der die eigene Bedeutung und das eigene Ego abgesichert werden sollen, verursacht immer menschliches Leid und finanzielle Kosten – bei Tätern und Opfern.
Besser wäre es, konsequent eine Gesellschaft zu finanzieren, in der die Überhöhung des Männlichen und das Recht des Stärkeren für das seelisch-emotionale Überleben eines Kindes einfach nicht mehr notwendig sind. Es wäre eine Befreiung – für Buben und Mädchen.
Heldentum
Das Mienenspiel verhärtet sich. Deutlich sichtbar ist das kein Thema für ihn. Spielen mit den Enkelkindern? Nicht wirklich, versteht der Zuschauer, auch wenn er kein Russisch spricht. Familie ist kein Identifikationspunkt für den mächtigen Staatsführer, nicht erwähnenswert, da spricht Putin lieber über wirklich Wichtiges in seinem Leben: Jagd, Politik, Entscheidungen. Männlichkeit ist seins, Familie ist etwas für Weicheier, lautet der Subtext des Interviews, das der russische Präsident einem amerikanischen Talkmaster vor Jahren gab.
Aufgrund seiner Größe braucht Russland angeblich eine harte Hand. Härte, vorzugsweise von Männern ausgeführt, ist 2022 wieder ein Exportartikel; diesmal nicht durch Männerbündnisse wie mit der FPÖ, sondern durch militärische Invasion.
Die Folge: Männer kämpfen, Frauen flüchten, hier die Täter, da die Opfer – Ausnahmen bestätigen die Regel.
4,2 Millionen Frauen sind schon ins Ausland geflüchtet, viele mit ihren Kindern auf sich gestellt. Die zurückgebliebenen bedroht mit Vergewaltigung, Folter und Tod bzw. erleiden sie es von Soldaten, die man nach einer russischen Redewendung nicht bedauern müsse, denn „Weiber werden andere gebären“.
Im Leid der Frauen auf beiden Seiten spiegelt sich die Absurdität der Logik eines Angriffskrieges: Menschenverachtung, die zum Sieg führt, und verbrannte, menschenleere Erde als Gewinn?
Familie. Macht. Helden
Als Kriegsursache wird neben der Angst vor Herrschaftsverlust á la Gaddafi die Kränkung eines Gassenkindes in Leningrad erkannt: Der kleine Wladimir, der durch harte Angriffe den Attacken anderer zuvorkommen muss, um „heil“ zu bleiben und das große empfindliche Ego eines kleinen Mannes, der als einziger männlicher Nachkomme von seinen Eltern vergöttert wird. Was er heute als unwichtig abtut, hat Putins Ängste und Maßstäbe geprägt: Die Familie.
Prekäre und/oder gewalttätige Familienverhältnisse stehen am Beginn der meisten Verbrecherkarrieren. Ihre Menschenverachtung, mit der die eigene Bedeutung und das eigene Ego abgesichert werden sollen, verursacht immer menschliches Leid und finanzielle Kosten – bei Tätern und Opfern.
Paläste für Kinder
Besser wäre es, konsequent eine Gesellschaft zu finanzieren, in der die Überhöhung des Männlichen und das Recht des Stärkeren für das seelisch-emotionale Überleben eines Kindes einfach nicht mehr notwendig sind. Es wäre eine Befreiung – für Buben und Mädchen.
Was es dafür braucht?
„Paläste für die Kinder“ meinte schon Julius Tandler und alles, was Frauen und Männer in ihrem Familienleben unterstützt: Menschengerechter Wohnbau, Talente fördernde Kindergärten und Schulen, Armutsbekämpfung und Rechtsstaatlichkeit.
Es geht nicht darum, auf die Russen zu zeigen, sondern unsere eigene Reflexionsfähigkeit weiterzubilden und Anti-Intellektualismus und Korruption á la Putin, Trump & Co keine Chance zu geben.
Heldenhaft?
Wenn wir heute denken, dass wir die moralisch Höhergestellten und die fliehenden Frauen bei uns sicher sind, dann werden wir spätestens morgen an genau diesen Standards gemessen werden.
Aktueller Buchtipp: „Putins Krieg gegen die Frauen“ von Sofi Oksanen im Verlag Kiepenheuer und Witsch über sexuelle Gewalt als Waffe
Eine Leseprobe ist hier abrufbar: https://www.book2look.com/book/9783462006919
Eine Rezension von Brigitte Neumann in Radio Ö1 vom 1. März 2024 in der Reihe „Kontext – Sachbücher und Themen“ zum Nachhören https://oe1.orf.at/player/20240301/750559
Petra Paterno verweist in der Wiener Zeitung im April 2022 auf den antiken griechischen Dramatiker Euripides:
„Kriege lassen sich nicht auf Soldaten und Schlachten beschränken. Es gibt, wie sich gerade jetzt tagtäglich in der Ukraine zeigt, sogar mehr zivile Opfer. Frauen haben dabei genauso wenig Schutz wie Männer – sie werden geschlachtet, geschändet, vertrieben. Der Frauenkörper als weiteres Schlachtfeld? Einer der ersten Anti-Kriegs-Autoren der Menschheit, der zugleich auch diese Frage stellte, dürfte wohl Euripides gewesen sein. Sein Drama „Die Troerinnen“, um 415 v. Chr. uraufgeführt, setzt nach dem Ende des Trojanischen Krieges ein und lässt fast ausschließlich Frauen zu Wort kommen.“