Leistungsträger – Retro oder Zukunft?
Dem Wunsch nach Veränderung folgend hat der neue österreichische Bundeskanzler Menschen mit neuen Perspektiven und unbelastet von irgendeiner Regierungserfahrung mit der Regierungsarbeit betraut. 6 von 16 Regierungsmitgliedern sind weiblich und so besonders dafür prädestiniert das Veränderungsprojekt mitzugestalten.
Denn dass Frauen sich für das Einbringen neuer Aspekte und damit für Veränderung besonders gut eignen, zeigt ein Blick auf die Lebenserfahrung und in die Statistik.
Frauen leisten viel
- Frauen erreichen im Durchschnitt in allen Fächern häufiger den Abschluss, meist noch mit den besseren Noten – außer im MINT-Bereich.
- Frauen bleiben meist ein Leben lang besser informiert: Sie absolvieren häufiger Weiterbildungen als Männer.
- Im Vergleich zu Männern leisten Frauen wöchentlich fast doppelt so viele Arbeitsstunden unbezahlt neben dem Beruf, um sich um die privaten Haushalte zu kümmern, um Kinder zur Welt zu bringen, sie zu pflegen und zu erziehen.
- Als Töchter und Schwiegertöchter sind vorwiegend sie es, die sich um die Altenpflege kümmern.
- Eher weniger Zeit haben sie für ihre persönlichen Hobbies zur Verfügung – täglich um eine halbe Stunde weniger als Männer.
Frauen erbringen demnach mit viel persönlichem Einsatz viele Leistungen, die für das Funktionieren unserer Gesellschaft und auch der Wirtschaft (Stichwort Reproduktionsarbeit) essentiell sind. Frauen-Arbeit bietet die Grundlage für das Geld-verdienen aller anderen.
Definition Leistungsträger
Die neue Bundesregierung hat sich den Leistungsträgern in Österreich verschrieben. Bemerkenswert ist dabei, was als Leistung definiert wird: Die Konstellation aus gut bezahlter Arbeit, Ehe und Kindern.
Das ist eine Kombination, die bei Frauen in Österreich nicht so häufig anzutreffen ist:
- In der Mehrzahl leben Frauen in Österreich alleine, 46,1% sind Single (ledig, geschieden, verwitwet) und 6,9% sind Alleinerziehende, 47% der Frauen sind verheiratet. Die durchschnittliche Ehe dauert allerdings nur 10,9 Jahre und die Gesamtscheidungsrate beträgt 40,5%.
- Frauen halten nur selten die höher bezahlten Jobs, wie zum Beispiel an den 200 umsatzstärksten österreichischen Unternehmen ersichtlich ist:
Frauen stellen 15,8% aller Positionen, die mit einer Prokura ausgestattet sind,
7,2% der Geschäftsführungs-, 3,6% der CEO- und 18,1% der Aufsichtsrats-Positionen. - Zu Lasten von Frauen beträgt die Lohnschere in Österreich 21,7%.
- Für Frauen liegt die Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung höher als für Männer. Für Alleinerziehende, zu 84% Frauen, beträgt dieses Risiko übrigens 38%.
- Frauen sind auch von der Altersarmut stärker betroffen als Männer.
- Weibliche Single-Haushalte verfügen über deutlich weniger Vermögen als männliche Single-Haushalte und Wissenschaftler vermuten, was die Frau von der Straße in ihrem eigenen Umfeld beobachtet: Die geringere Verfügungsmacht über Vermögen gilt für die Mehrzahl der Frauen – unabhängig von ihren Leistungen.
In Österreich haben Frauen also relativ wenige Chancen lebenslang einen gut bezahlten Job und für die gesamte mindestens 18 Jahre dauernde Kindererziehungszeit (Ausbildungspflicht!) einen Ehemann an ihrer Seite zu haben.
Veränderung: Retro oder Zukunft?
Wie lange müssen Frauen in Österreich noch darauf warten, bis sie eine faire Entlohnung erhalten, nicht mit Altersarmut gefährdet sind und auch in bisher weiblich dominierten Berufen mit Männern zusammenarbeiten können? Wie lange dauert es, bis ihre Töchter eine langfristige Anstellung in einem MINT-Beruf mit sozialer Anerkennung haben und es in Österreich beste Vereinbarungsmöglichkeiten von Beruf und Familienleben unabhängig vom Geschlecht gibt?
Eigentlich könnte es schnell gehen.
Notwendig wäre dafür zuerst eine Zielvereinbarung der Regierung: Faire Lebensmöglichkeiten und soziale Sicherheit für Frauen bis 2022.
Weiters sollten alle Regierungsentscheidungen auch unter dem Aspekt der Leistungen von Frauen in Österreich getroffen werden.
Es wird sich an den Leistungen dieser neuen Bundesregierung für die Frauen zeigen, ob sie als retro oder als zukunftsorientiert in die Geschichte eingeht. Auf dem Spiel stehen dabei nicht nur Frauen-Leben, sondern auch die individuellen Handlungsräume für Männer und die Wirtschaftsentwicklung in Österreich insgesamt.