Kleider machen Rollen
Kleider machen Männer zu Männern und Frauen zu Frauen.
Robert Eichert hat dazu die Geschichte des Hosentragens von Frauen, u.a. auch auf Basis von Erkenntnissen von Cäcilia Rentmeister, recherchiert:
„Seit dem 13. Jahrhundert gibt es in Europa Belege der Redensart vom „Hosen anhaben“ in der Ehe.
Die Metapher führt zurück auf das weibliche Streben nach der Macht in dieser institutionalisierten Partnerschaft.
Der Kampf um die Hose wurde ab dem 14. Jahrhundert bildlich dargestellt. Und ab dem 16. Jahrhundert taucht der Hosenstreit auch in der Literatur auf. Erst im 20. Jahrhundert verliert das Motiv seine Attraktivität. Erhalten bleibt uns das Sprichwort vom „Hosen anhaben“.
In der Kunst wurde das Motiv dargestellt, indem sich Mann und Frau um die Hose streiten, zum Beispiel an ihr zerren oder beide gleichzeitig in die Hosenbeine steigen. Auch streiten sich auf bildlichen Darstellungen mehrere Frauen um eine Hose. Hinzu kommen Bilder und Literatur zur „verkehrten Welt“. So klopft auf einer Spielkarte ein Mann Windeln mit dem Bleuel (Waschbrett). Die Ehefrau steht daneben und sagt, was er tun muss. Ebenso taucht das Hosenmotiv in einigen Volksbräuchen auf.
Die Hose steht also für die Macht in der Ehe.
Das Themenspektrum, das sich um das Beinkleid rankt, geht jedoch noch weiter: Streit, sexuelle Begierde, Unterwerfung, Entmannung und elementare soziale Sicherung sind Aspekte der Darstellungen.
Zu finden waren sie zum Beispiel gemalt, gestochen oder geschnitzt auf dem Türsturz einer romanischen Kirche, dem Klappgestühl der Kathedrale Nortre-Dame in Rouen, in der Buchmalerei, Schuhlöffeln oder Pfeifenköpfen, auf Stirnbrettchen von Bienenstöcken, auf Backmodeln (Backformen), auf Lebkuchen und auf allen Arten von Drucken und Lithographien sowie literarisch zum Beispiel in Fastnachtspielen und Schwänken.
Der Kampf um die Hose ist ein europäisches Phänomen. Darstellungen sind bezeugt aus Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, England, Belgien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Slowenien, Italien und Russland. Ziel war im wesentlichen Unterhaltung, zum Teil aber auch Kritik an vermeintlichen Untugenden der Frau.
Der gesellschaftliche Hintergrund dieses Motivs: Hierzu gibt es unterschiedliche wissenschaftliche Aussagen. Eine davon besagt, dass asiatische Völker in vorgeschichtlicher Zeit Hosen trugen. So kenne man aus der Zeit um 700 vor Christus Hosen der Skythen, Sarmanten und Dakier.
Eine andere Aussage ist: Die Hose tauche zum ersten Mal mindestens ab dem 6. Jahrhundert vor Christus bei den Kelten und Germanen auf. Ursprünglich verstand man in germanischen, romanischen und keltischen Sprachen unter Hosen die Bedeckung der Unterschenkel, zum Beispiel durch Wickelgamaschen oder einzelne Hosenbeine, sogenannte Beinlinge. Es war jedoch die Bruch (Vorläufer der Unterhose) der Kelten und Germanen der Teil der Kleidung, die wir heute als Hose bezeichnen.
Die Hose, beziehungsweise bruch und Beinlinge durchlaufen keine gradlinige Entwicklung bei den verschiedenen Völkern.Im hohen Mittelalter (etwa 900 bis 1150 n. Chr.) trugen jedoch in Europa beide Geschlechter Röcke, beziehungsweise Kleider. Ab dem 14. Jahrhundert wird im christlichen Europa die Hose zum männlichen Kleidungsstück. Der Rock wird immer kürzer, weil Männer als Kämpfende Bewegungsfreiheit brauchen.
Vorbild für die Mode des übrigen Volkes wird die körperbetonte und sehr bunte Kleidung der Landsknechte (Söldner). Zunächst besteht die „Hose“ noch aus Beinlingen, die am Wams (Leibrock) befestigt werden. Im 15. Jahrhundert wuchsen bruch und Hosen zu einem einzigen eng anliegenden Kleidungsstück zusammen. „Hose“ setzte sich dafür als Bezeichnung durch. Frauen trugen bis ins 20. Jahrhundert selten Hosen, wenn dann in Ausnahmesituationen wie Krieg. Sie wurden in der Regel geduldet, manchmal auch bewundert.
Der zweite Hintergrund des Motivs ist in der Reformation zu finden. „Durch sie bekommt die Ehe einen neuen gesellschaftlichen Stellenwert. Sie ist als erste Ordnung Gottes anzusehen und als das Lebensmodell für den erwachsenen Menschen. Ebenso ist sie Modell für die Ordnung im Staate“, erläutert Heide Wunder, vor ihrem Ruhestand Professorin für Sozial- und Verfassungsgeschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Kassel. Sowohl Ehe als auch Staat sind hierarchisch organisiert. Luther beruft sich bei dem Entwurf seiner neuen Anthropologie der Ehe auf die Genesis: „Dein Verlangen soll nach dem Manne sein, und er soll dein Herr sein“ übersetzt der Reformator und: „Seid fruchtbar und mehret euch.“ Sowie Paulus: „Der Mann sei das Haupt der Frau.“
Wunder erklärt: „Mit Berufung auf die Erschaffung der Menschen als Mann und Frau sollte Kleidung in der christlichen Tradition eindeutig die Geschlechtszugehörigkeit ausweisen. Da sich unter der Hose das männliche Geschlecht verbirgt, verband sich mit der Hose die Vorstellung männlicher Potenz.“ Die Frau habe dagegen als minderwertig gegolten, lediglich als Gefäß, das den Samen aufnimmt. In dieser christlich-antiken Sichtweise sei der Ehemann zwar das „Haupt der Frau“ gewesen, aber in der sozialen Praxis im 16. bis 18. Jahrhundert seien die Eheleute als Arbeitspaar aufeinander angewiesen gewesen. „Gleichwohl kam es zu Konflikten, die als Kampf um die Hose dargestellt wurden.“
Und die Autorin Sigrid Metken schreibt in ihrem Buch „Der Kampf um die Hose“: „Es geht dabei keineswegs um Emanzipationsgelüste, um Befreiung und Selbstbestimmung der Frau. Zum „Hosen anhaben“ ist ein Partner, der sich beherrschen lässt, unerlässlich. Auch wird die Machtausübung in der Ehe als unteilbar aufgefasst.“ Obwohl Frauen im Spätmittelalter und früher Neuzeit weniger herrschten als Männer, war ihre virtuelle Macht zu keiner Zeit gefürchteter.
Im 20. Jahrhundert macht das alltägliche Hosentragen der Frauen das Kleidungsstück als Symbol männlicher Macht ungeeignet, wenn es auch bis zur Jahrhundertmitte und darüber hinaus heftig umstritten war. Heute „sind wir im Zeitalter des Unisex“, sagt die Historikerin Wunder. „Die Hose ist eher ein modisches Attribut. Männer und Frauen können damit spielen.“ Andererseits werde mit den Hosen weiterhin Geschlechterpolitik gemacht. So könnten Frauen in Führungspositionen sowohl Kostüme als auch Hosenanzüge tragen. Letzteres aber könne ihnen sowohl positiv ausgelegt werden in dem Sinne, dass sie sich an die männliche Rolle anpassen und an Macht teilhaben, als auch negativ, nämlich dass sie unweiblich seien.
Wenn sie bedenkt, dass zumindest in Deutschland die Mode Mädchen und jungen Frauen zur Zeit körperbetonende Schlaghosen beschert, Jungen und jungen Männern dagegen teilweise regelrechte Schlabberhosen, stellt sie fest: „Die Hose kann heute genauso genutzt werden, um Geschlechterdifferenz auszudrücken.“ Dagegen sei das alltägliche Hosentragen, was Arbeitskleidung anbetreffe, bei beiden Geschlechtern ähnlich.“