Europa im Silicon Valley – und Silicon Valley in Europa

Reimar Bruening ist ein weltgewandter Deutsch-Amerikaner, der Start-ups in Deutschland und in den USA (mit-)begründet hat. Sein Branchenschwerpunkt liegt in der Biotechnologie, wo aufgrund der längeren Produktentwicklungszeiten – mindestens 7 Jahre statt 3 Monate – andere Rhythmen gelten als in der Informationstechnologie. Deshalb waren in unserem Gespräch die Unterschiede zwischen der europäischen und der nordamerikanischen Start-up-Kultur im Mittelpunkt.

Nun ist die Erkenntnis nicht neu, dass die unterschiedlichen Gesetze im Arbeits- und Steuerrecht in Deutschland einfache Maßnahmen zur Etablierung eines Gemeinschaftsgefühls wie in Silicon Valley-Unternehmen schlichtweg verhindern – zum Beispiel gilt ein kostenfreier Mittagstisch in Deutschland für alle als steuerwerter Vorteil und zieht einen Rattenschwanz an Verwaltungstätigkeiten nach sich. Die sich daraus ergebende Frustration bei den MitarbeiterInnen ist gerade für Start-ups in Deutschland Gift.

Weiters haben EuropäerInnen zu Risiko und Risikomanagement historisch bedingt einen anderen Zugang und können da wohl auch nicht aus ihrer Haut heraus. Andererseits ist es schon interessant zu erleben, mit welcher Begeisterung und innerer Zufriedenheit Europäer (weibliche europäische Entrepreneurs habe ich hier leider noch nicht kennengelernt) wie Reimar im Silicon Valley leben und erfolgreich Business machen.

Daraus kann man nur folgern, dass die EuropäerInnen offensichtlich nicht grundsätzlich für die nordamerikanische Herangehensweise ungeeignet sind, aber sie brauchen eben ein bestimmtes Biotop, um aufblühen zu können.  Und dieses Biotop muss in Europa aufgrund der eigenen Potentiale aus sich heraus generiert werden – Reimar ist davon zutiefst überzeugt, und ich teile seine Ansicht, dass das amerikanische Setting nicht einfach nach Europa verpflanzt werden kann. Diesen originär orientierten Zugang, der den Fokus auf die europäischen Stärken legt, sehen wir leider zu selten in der europäischen Start-up-Diskussion und -Politik.

Und was benötigt nun ein Start-up, um erfolgreich sein zu können?

Darauf gibt es nicht DIE eine Antwort, denn ein solches Kind braucht viele Mütter und Väter:

Abgesehen von einer guten Business-Idee mit einem funktionierenden Produkt zur rechten Zeit und mit ausreichender Finanzierung (wobei der erste Schritt in Europa wie in den USA von den 3 Fs gegangen wird – family, friends and fools):
Infrastruktur wie Wohnungen, Schulen, Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Mobilitätsangebote (gute Verkehrsanbindungen auch an den internationalen Raum), kulturelle Angebote (ja, der Mensch lebt nicht vom Brot alleine – zumindest nicht auf Dauer), aktive und moderne Bildungseinrichtungen in der Umgebung, eine praktikable Lösung für die Sozial- und Krankenversicherungsthemen und natürlich eine liberale Einwanderungsgesetzgebung für Studierende, Fachkräfte und ExpertInnen. Eine Grundstimmung der Offenheit in der Bevölkerung hilft selbstverständlich auch – aber hier sehe ich bei einer klugen Politik keine problematischere Situation in Europa als in den USA.

Start-up-UnternehmerInnen brauchen hier wie dort einen starken Willen, Konsequenz und viel Überzeugungskraft für sich selbst und alle anderen MitstreiterInnen ebenso wie für die Finanziers und die potentiellen KundInnen.

Neue Wege auch gegen Widerstände zu gehen hat in dieser Bay Area schon eine lange Geschichte: Es ist dem persönlichen Einsatz von John Muir und seiner Beharrlichkeit im 19. Jhdt. zu verdanken, dass wir heute noch in der Nähe von San Francisco 2.000 Jahre alte riesige Bäume sehen können. Nehmen wir uns sein Beispiel zum Vorbild und bleiben wir an den wichtigen Dingen dran – das können wir auch in Europa. 🙂

Stay curious!
Sabine