Beratung in der Krise?
In der Corona-Krise sind in den Medien BeraterInnen aller Art gefragt: Von ihnen wollen wir hören, wie sich das Virus auf die verschiedenen Branchen und unser Sozialverhalten auswirkt, wie wir unsere Geschäftsmodelle umbauen, wie wir das Business wieder hochfahren können und wie wir in Homeoffice-Strukturen unsere MitarbeiterInnen führen sollen und welche IT-Tools wir dafür am besten einsetzen.
Doch schon in den vergangenen Jahrzehnten war der Einfluss der Beratungsbranche auf Wirtschaft, Regierungen und Gesellschaft beachtlich. Denn weltweit haben BeraterInnen Unternehmen, NGOs und Regierungen dabei unterstützt, Innovationen voranzutreiben und neue Organisationsformen zu implementieren.
Ilse, Du bist eine sehr erfahrene Unternehmensberaterin und seit vielen Jahren auch international anerkannt. Wie sehr stecken wir derzeit in der Krise?
‚Crisis‘ kommt ursprünglich aus dem Lateinischen. Es ist eine kritische Phase, eine entscheidende Wendung, aber auch ein Urteil gemeint. Eine Krise zeichnet sich aber auch dadurch aus, dass sie zeitlich begrenzt ist und durch bisherige Strategien grundsätzlich nicht bewältigt werden kann:
Es werden neue Entwicklungsmodelle, Lernmuster und Identitätskonzepte benötigt!
Klar ist, dass wir in den letzten Wochen viele neue Verhaltensmuster und Umgangsformen lernen mussten, die Abläufe in Wirtschaft und Politik stark verändert wurden – und wir dadurch auch viele Dinge im täglichen Leben anders bewerten und neu beurteilen.
Ob dies jedoch zu einer ‚crisis’ als ‚wesentlichen Umbruch’ führen wird, werden die kommenden Wochen und Monate zeigen. Derzeit, so meine ich, befinden wir uns in einem großen Veränderungsprozess, und dieser bringt ebenso ‚große Herausforderungen’. Daher spreche ich nur ungern von einer ‚Corona-Krise’, sondern bevorzuge den Begriff ‚Corona-Herausforderungen’.
Worauf kommt es denn jetzt an?
Klarer Weise hat die Bewältigung des Corona-Virus Sars-CoV-2 derzeit Priorität. Dennoch sind die Themen, die bereits vor ‚Corona’ das gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Leben geprägt haben, nach wie vor aktuell, wie z.B. Integration, Verteilung der Ressourcen national und weltweit, Bildung, Digitalisierung, Ökologisierung der Wirtschaft, Familienpolitik u.v.m. – für Österreich, Europa und weltweit.
Medial stehen all diese Herausforderungen derzeit zwar im Hintergrund, aber sie werden rasch wieder an die Oberfläche kommen und uns noch viel beschäftigen.
Das heißt wohl, dass jetzt ganz besonders viele neue Ideen, Herangehensweisen und ‚helle Köpfe’ benötigt werden – ein Paradies für die Unternehmens- und IT-Beratung?
Die Prognosen über die Umsatzentwicklung im Beratungsmarkt deuten oftmals auf einen Abwärtstrend in der nahen Zukunft – für die Branche insgesamt und auch für bestimmte Beratungsfelder.
Dennoch: Die Beratungsbranche ist und bleibt ein wesentlicher Wachstumsmotor. Dies ergibt sich meiner Meinung nach z.B. aus dem internationalen Beratungsstandard ISO 20700, der 2017 veröffentlicht wurde. In diesem wird der Beratungsbranche eine hohe Verantwortung für Unternehmen und deren Mitarbeiter, Institutionen, alle Stakeholder und für die gesamte Volkswirtschaft beigemessen.
„Die Unternehmensberatungsbranche leistet einen wesentlichen Beitrag zur Weltwirtschaft.“ (…) „Unternehmensberater nutzen ihr Know-how, um Klienten in jeder Branche lokal, regional und global bei wichtigen Themen wie Komplexität, nachhaltiges Unternehmenswachstum, Innovation, Veränderung und Produktivitätssteigerung zu unterstützen.“
Die Unternehmensberatungsdienstleistung wird dabei so definiert:
„Zusammenstellung multidisziplinärer Tätigkeiten der geistigen Arbeit im Bereich des Managements, die darauf ausgerichtet ist, durch Beratung und Lösungsvorschläge, durch Berücksichtigung von Maßnahmen oder durch abzuliefernde Leistungen Werte zu schaffen oder Veränderungen zu fördern“
Die letzten Jahrzehnte haben viel Aufschwung für Europa und uns Europäer gebracht. Es hat sich ein ‚Europäischer Traum’ entwickelt. Das Modell und Leben von Europäern wurde zum Wunsch und Vorbild vieler Nationen weltweit.
Die Wirtschaft in Europa und Österreich hat daher jedenfalls das Potenzial, rasch wieder in Schwung zu kommen, mit Unterstützung der Gesellschaft und politischen Institutionen auf nationaler und internationaler Ebene.
Welchen Beitrag können BeraterInnen dazu leisten?
Sie leisten ganz wesentliche Beiträge dazu, indem sie aktuelle Situationen bewerten, Zukunftsmodelle andenken und bei der Umsetzung unterstützen.
Zur Bewältigung der ‚Corona-Herausforderungen’ werden weiterhin Expertinnen und Experten in hohem Maße gefragt sein! Damit wird die Beratungsbranche weiterhin einen hohen Stellenwert für die Stabilisierung und Weiterentwicklung der Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und der gesamten Volkswirtschaft besitzen.
Von welchen Faktoren hängt es ab, wie stark dieses Expertenwissen bei KundInnen nachgefragt wird?
Expertenwissen soll grundsätzlich 3 konstituierende Merkmale aufweisen:
- beim Experten vorhanden sein,
- für die Organisation bzw. Institution notwendig erscheinen
und explizit nachgefragt werden und - nur schwer substituierbar sein.
Spezialisiertes Expertenwissen auf hohem Niveau ist somit Basis für die (Über-) Lebensstrategie in der Unternehmens- / IT-Beratung und wird in kurzer Zeit auch die Marktbereinigung auf der Angebotsseite bestimmen – mehr oder weniger ausgeprägt.
Welche Eigenschaften brauchen BeraterInnen als Basis für ihren Erfolg?
Für BeraterInnen sind folgende Attribute erfolgsbestimmend:
- Flexibilität,
- Anpassungsfähigkeit und
- Innovationsleistung.
Was empfiehlst Du BeraterInnen gerade in Krisenzeiten wie diesen?
Gerade in herausfordernden Zeiten sollten BeraterInnen sich einerseits sehr eng an den Bedürfnissen ihrer KundInnen und Stakeholder orientieren.
Andererseits sollten BeraterInnen auch eigene Werthaltungen und Vorstellungen über Zukunftsszenarien in die Beratungsleistung einbringen.
Und sie sollten sich noch mehr als bisher fokussieren!
Was ist Dein Ausblick für die Beratungsbranche?
Das klassische Beratungsgeschäft wird nicht aussterben!
Aber: Die Unternehmens- und die IT- Beratung der Zukunft behandeln keine Symptome. Vielmehr sorgen sie für ein resilientes Immunsystem. Im Idealfall zeigen sie den Weg zu einer gesunden Lebensweise.
Vielen Dank für Deinen Einblick und die vielen Tipps, liebe Ilse!
Für alle, die sich für die von Dr. Ilse Andrea Ennsfellner, CMC, CSE angesprochenen Themen interessieren, gibt es hier weiterführende Informationen:
1 Ennsfellner, I. (2020): Internationaler Standard ISO 20700 – Leitlinien für die Professionalisierung von Unternehmensberatungsdienstleistungen. In: Deelmann, T. / Ockel, D.M. (Hrsg.): Handbuch der Unternehmensberatung, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2020, Kz. 7523
2 Theilen, J. (6.3.2020): Corona: Heißt es “der“ oder “das“ Virus? Abgerufen von https://www.mdr.de/wissen/mensch-alltag/corona-heisst-es-der-oder-das-virus-100.html
3 Cactus2000: crisis. Abgerufen von https://latin.cactus2000.de/noun/shownoun.php?n=crisis
4 Erikson, E.: Krise als Entwicklungschance. Abgerufen von http://www.krise-als-entwicklungschance.de/seite-2.html
5 Fachverband Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie (April 2019): Berufsgrundsätze und Standesregeln in der Unternehmensberatung. Abgerufen von https://www.ubit.at
6 Eine Einschätzung zum Beratungsmarkt siehe Kaleta, Ph. (20.4.2020): Der Erfolg der Beraterbranche findet ein abruptes Ende – Firmen schicken Mitarbeiter in Kurzarbeit und bitten Staat um Hilfe. Abgerufen von https://www.businessinsider.de/wirtschaft/schwarze-tage-fuer-die-beraterbranche-geschaeft-stuerzt-auf-historisches-tief-30-prozent-der-firmen-wollen-staatshilfen-nutzen/?xing_share=news
7 Schewe, G. (2020): Wer ist eigentlich ein Experte? In: zfo 2/2020, Editorial
Dr. Ilse Andrea Ennsfellner CMC CSE
ist Unternehmensberaterin und Gründerin und Inhaberin der Ennsfellner Consulting e.U.. Dr. Ennsfellner ist auch tätig in der Wirtschaftsmediation und in der Lehre und Forschung und leitet den Verlag CAUSAL Edition e.U..
Dr. Ennsfellner verfügt über langjährige Führungserfahrung in nationalen und internationalen Beraterverbänden, u.a. als Vorsitzende des CEN Projektkomitees des Beratungsstandards EN ISO 20700 „Leitlinien für Unternehmensberatungs-dienstleistungen” und als Assessorin.
Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. „Exzellenz in der Unternehmensberatung – Qualitätsstandards für die Praxis“ (Ennsfellner/Bodenstein/Herget), Springer Verlag
Zertifizierungen: CMC Certified Management Consultant; Certified Business Trainer; CSE Certified Supervisory Expert; CMC-Global Accredited Trainer ISO 20700:2017
Women and People Business
CORONA und emotionale Mehr-Werte
Gerne möchte ich am Beispiel der Hotellerie die Zukunftschancen durch Business-Frauen und professionelle Beratungsleistung aufzeigen:
In dieser Branche kommen die unterschiedlichsten Gäste aus verschiedenen Kulturen und geografischen Ursprungs mit speziellen Vorstellungen und Wünschen in ein Hotel. Durch die multi-kulturelle Klientel sind auch die Ansprüche gestiegen und die Erwartungshaltungen gegenüber der Dienstleistungsqualität anspruchsvoller und fordernder.
Wer kennt sich besser aus in der Hotel-Familie als die Frau des Hauses?
Die außergewöhnliche Dienstleistungsqualität, die „Handschrift der Frau des Hauses und der Blick für die Details“ ist ein USP und wird zur Marke. Die USPs – die Alleinstellungsmerkmale – der Frau des Hauses werden auch nach Covid-19 zu neuen Anziehungspunkten verhelfen. Gemeinsam mit den Teams in Küche, Service und Housekeeping wird es gelingen, die neuen BesucherInnen vom Einmal-Gast zum Stammgast, vom Stammgast zur Langzeitbeziehung zum Wohle beider Seiten zu gewinnen.
Begleitet von „Herz + Hand + Hirn + Humor + Hingabe“ schaffen gerade Frauen emotionale Mehr-Werte mit und für alle Sinne, die einen Erlebniswert haben, der wiederholt werden will.
Beratung hilft Ihnen, Ihr besonderes Profil zu schärfen: „…Sie sind die Marke!“ einmalig und unverwechselbar.
Herr Prof. Deelmann, Sie haben in Ihrem Kommentar auch weitere wesentliche Aspekte angesprochen, nämlich die Rollen der Beratungsanbieter/innen und daraus resultierend die „neuen“ Beratungsleistungen.
Ich gehe auch davon aus, dass wir uns in der Beratung in den von Ihnen angeführten Rollen fokussieren werden (müssen). Gleichzeitig stehen beide – Berater und das „Gegenüber“, die Kunden – derzeit im gleichen Entwicklungsprozess. Daher wird sich auch die klassische Rollenteilung zwischen Berater und Kunde aufweichen, so dass Berater/innen und Kunden gegenseitig Rollen übernehmen, die früher Domäne des anderen war (Rollentausch).
Frau Dr. Ennsfellner macht gute Punkte, die ich unterstreichen kann. Zwei davon möchte ich kurz rauspicken:
Zum einen sehe ich aktuell ebenfalls eine Abwärtsbewegung der Branche (ausgedrückt in Aufträgen und damit Umsatzvolumina). Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass dieser Rückgang relativ kurzzeitig sein wird. Das zeigt zumindest der Blick auf die vergangenen Krisen: Beratung hat sich sehr adaptiv gezeigt und sich auf die neue Situation immer gut eingestellt.
Und zum anderen sehe ich das klassische Beratungsgeschäft ebenfalls nicht aussterben. Aber vielleicht etwas wandeln oder besser gesagt: sich erweitern. Die Zahl der BeraterInnen hat in den letzten Jahren stark zugenommen (und wird es vermutlich auch weiterhin tun). Dabei glaube ich kaum, dass alle BeraterInnen Beratungsleistungen im „klassischen“ Sinne erbringen. Diese Veränderung zeigt sich beispielsweise an der Wortwahl, mit der über „klassische“ Beratung und „neue“ Beratung gesprochen wird: Hier ist dann die Rede von Beratung im engeren Sinne und im weiteren Sinne, von einer Unterscheidung zwischen einer Trusted Advisor- vs einer Dienstleister-Rolle, zwischen der Trennung von Beratungs- und Unterstützungleistungen oder den Advisory Services und Managed Services, die beide von einem Hause angeboten werden.
(Notgedrungen) Getrieben wird diese Entwicklung m.E. von den großen Häusern und Beratungskonzernen. Damit eher kleinere Beratungen oder EinzelberaterInnen (weiterhin) erfolgreich sind, bedarf es der Fokussierung und den Attributen, die im Interview genannt werden.